13,71 Meter für die Ewigkeit

James Brendan Connolly: der erste Olympiasieger der Neuzeit

Panathinaiko-Stadion, Athen, Griechenland. 6. April 1896. Ein wolkiger, kühler Frühlingstag. 

James Brendan Connolly bereitet sich auf seinen Wettbewerb vor – den Dreisprung, die erste Finalentscheidung der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit. Der 27-jährige US-Amerikaner ist 1,74 Meter groß. Er kommt aus Boston, Massachusetts, wo er als eines von zwölf Kindern einer armen, irischen Einwandererfamilie aufgewachsen ist. 

Connolly musste viele Widerstände überwinden um hier zu sein. Aus fünf Ländern kommen die insgesamt sieben Konkurrenten, die den Sieg unter sich ausmachen wollen. Jeder hat drei Versuche. Wobei bis zum Schluss keiner weiß, wie er selbst und die anderen abgeschnitten haben – die Regeln der Zeit. Der Offizielle, ein gewisser Charles Perry vom London Athletic Club, ebnet die Sandgrube nach jedem Sprung. Doch Connolly ist nicht auf den Mund gefallen: „Ihr müsst einem Kerl doch sagen, wie weit er gesprungen ist“, sagt er nach seinem zweiten Versuch zu Perry. „Was dich angeht, du kannst zurück in die Kabine und unter die Dusche. Du hast diesen Event in der Tasche“, mutmaßt der Offizielle. 

Perry sollte recht behalten: mit 13,71 Metern sprang Connolly mehr als einen Meter weiter als der zweitplatzierte Franzose Tuffèri. Die US-Flagge wird hochgezogen, die Hymne, das Star-Spangled Banner, ertönt. „Du bist der erste Olympiasieger seit 1500 Jahren“, sagt sich Connolly. Für den Sieg gab es 1896 übrigens noch keine Goldmedaille (die gibt es erst seit 1908), sondern Silber; der Zweite bekam Bronze, der Dritte gar keine Medaille.  

Sportler und Student

Wie gesagt, Connolly musste viele Widerstände überwinden – nachdem er die Schule abgebrochen hatte, arbeitete er zunächst als Angestellter einer Versicherung und dann als Soldat bei der Armee. Daneben bereitete er sich im Selbststudium auf die Uni-Aufnahmeprüfung vor – im Oktober 1895, also ein halbes Jahr vor Athen, wurde er in Harvard aufgenommen, wo er Ingenieurwissenschaften studierte. Sportlich aktiv war er schon seit seiner Kindheit in Boston, wo er mit den Nachbarbuben im Park um die Wette lief und sprang. Später spielte er auch noch American Football und radelte in einem Klub – das Radfahren war Ende des 19. Jahrhunderts, also noch vor der Ankunft des Automobils, eine der populärsten Sportarten.     

Vielleicht spielte sein Interesse für die griechisch-römische Antike neben seiner Sportleidenschaft auch eine Rolle – jedenfalls entschied sich Connolly an den Olympischen Spielen in Athen teilzunehmen. Er suchte daher um Beurlaubung vom Studium an, die Harvard verwehrte. So blieb ihm nichts anderes übrig als Harvard “Goodbye” zu sagen – Connolly brach sein Studium ab und machte sich als Mitglied des 14-köpfigen US-Olympiateams auf nach Griechenland. Wer für Connolly’s Reise bezahlt hat, ist unklar – je nach Quelle entweder er selbst oder sein Verein, der Suffolk Athletic Club.  

Anreise mit Hindernissen

Zusammen mit dem Großteil der anderen US-Olympiateilnehmer ging es mit dem deutschen Ozeandampfer “Barbarossa” in Richtung Neapel. Dort war zwei Tage Zwischenstopp, bis dass es mit dem Zug nach Brindisi weitergehen sollte. Connolly musste übrigens all seine athletischen Fähigkeiten aufbringen um den Zug noch zu erreichen, doch immer schön der Reihe nach – nachdem seine am Vortag gestohlene Geldbörse am Tag der Abreise nach Brindisi bei der Polizei gelandet war, wollte diese, dass Connolly den Diebstahl zu Protokoll gibt, schließlich müsse der Dieb angeklagt werden.

Connolly’s Hinweise auf den bald, um acht Uhr früh, nach Brindisi abfahrenden Zug, stießen bei den pflichtbewussten Beamten auf taube Ohren. Zuerst müsse das Protokoll aufgenommen werden, hieß es, wie sich Connolly in seiner Autobiographie „Sea Borne: Thirty Years Avoyaging” lebhaft erinnert. Irgendwann wurde es ihm zu bunt, er rannte davon; in Richtung Zug nach Brindisi. „Brin-dee-see! Brin-dee-see! Otto! Otto!“, schrie er um sich, während er verzweifelt versuchte den richtigen Bahnsteig zu finden. „Brindisi! Si! Si!“, zeigte ihm ein Eisenbahnmitarbeiter den Weg.

Der Zug war bereits im Rollen, jetzt musste es schnell gehen. Mit einem beherzten Sprung schaffte es Connolly noch an Bord, drei seiner Kollegen hielten ihn fest und zogen ihn rein. „Ich wusste es damals nicht, aber wenn ich diesen Zug verpasst hätte, wäre ich nicht zeitgerecht zu meinem Event nach Athen gekommen“, reflektierte er später. 

Von Brindisi ging es per Fähre und dann nochmal per Zug weiter nach Athen, wo das US-Team nach 16 Tagen Reise ankam. Dort gab es die nächste Überraschung: die US-Mannschaft hatte angenommen, dass die Olympischen Spiele erst in zwölf Tagen beginnen würden, man also noch Zeit hätte um sich in aller Ruhe vorzubereiten. Dem war nicht so, denn es gab ein Missverständnis bezüglich des Datums – damals war in Griechenland noch ein anderes Kalendersystem, der julianische Kalender, gebräuchlich, und irgendwo, irgendwie, irgendwer hatte die Daten durcheinandergebracht. Lost in Translation, sozusagen. 

Zum Glück erkannte jemand aus dem US-Team beim ersten Frühstück in Athen, dass die Spiele schon an jenem Tag eröffnet würde. Gleichzeitig standen auch schon die ersten Wettbewerbe auf dem Programm – unter anderem auch die erste Finalentscheidung, jene im Dreisprung.

Heimreise

Connolly holte sich nach seinem Dreisprungsieg auch noch den zweiten Platz im Hochsprung, und den dritten Rang im Weitsprung. Die US-Boys räumten insgesamt groß ab und gewannen neun der zwölf Leichtathletikwettbewerbe in Athen, alles zusammen 15 Medaillen. Den Olympioniken wurde nach ihrer Rückkehr in die Staaten ein gebührender Empfang gemacht. Connolly war übrigens nicht dabei – er war auf der Rückreise zunächst in Frankreich hängengeblieben. „Ich hatte zu viel über Paris gelesen, um es in Eile zu verlassen, jetzt wo ich schon mal da war. Und man konnte damals günstig in Paris leben“, schrieb er später. Nach vier Wochen an der Seine blieb er auch noch zwei Wochen in London, ehe er in die USA zurückkehrte. Dort überreichte ihm die Bürgerschaft von South Boston eine goldene Uhr.

„Es war ein tolles Gefühl, gesagt zu bekommen, „Junge, dass hast du gut gemacht!“ “, erinnerte sich Connolly. „Aber ich hatte auch das College abgebrochen und mein Geld ausgegeben. Ich bereute weder den Studienabbruch noch das ausgegebene Geld, aber jetzt musste ich wieder meinen Lebensunterhalt bestreiten.“    

Leben nach Athen

Connolly’s Leben war auch danach abenteuerlich. Zunächst trat er vier Jahre später, bei den Olympischen Spielen in Paris, wieder im Dreisprung an – im reifen Sportleralter von 31 Jahren holte er hinter seinem Landsmann Myer Prinstein den zweiten Platz.

1904, bei den Spielen in St. Louis, war Connolly wieder mit dabei – allerdings nicht mehr als Athlet, sondern als Journalist. Zu dem Zeitpunkt hatte er sein schriftstellerisches Talent schon erkannt – nachdem er als Soldat im Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 teilgenommen hatte, veröffentlichte er seine Fronterfahrungen im Boston Globe.

Danach schrieb er vor allem Geschichten, die auf hoher See spielten, wobei ihm seine jahrelange Erfahrung auf Booten aller Art – von Fischkuttern bis zu Militärschiffen, und nicht zuletzt wohl auch jene von der Überfahrt 1896 nach Athen – zugute kam. 

Als James Connolly 1957 im Alter von 88 Jahren starb, hinterließ er mit 25 Romanen und über 200 Kurzgeschichten ein umfangreiches literarisches Werk.  

Mehr als 120 Jahre nachdem Connolly in Athen gewann, sind die Fotos jener Zeit schon lange vergilbt. In seiner Heimatstadt, genauer gesagt im Joe Moakley Park im Stadtteil South Boston, erinnert eine Statue an ihn – genau 13,71 Meter nach dem Absprung landet der nachgebildete Athlet. Er ist weit gekommen, dieser James Brendan Connolly, der erste Olympiasieger der Neuzeit.